Kleine Geschichte einer Überwachungs- und Kriminalisierungskampagne

Aktueller Stand der Ermittlungen wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung (§129 StGB) in und um Dresden.

Alles begann im Vorfeld des 13. Februar 2010. Nachdem sich der sogenannte rechte Trauermarsch am Jahrestag der Bombardierung Dresdens innerhalb weniger Jahre zum größten Naziaufmarsch Europas entwickelt hatte, gründete sich 2009 ein bundesweites Bündnis aus Antifagruppen, Parteien und Zivilgesellschaft mit dem Ziel diesen zu blockieren.
Soviel Engagement gegen Rechts war den sächsischen Behörden jedoch von Anfang ein Dorn im Auge, sodass die Oberstaatsanwaltschaft Dresden bereits im Januar 2009 den Vorwurf des „Aufrufs zu Straftaten“ konstruierte um Räumlichkeiten des Bündnisses zu durchsuchen, Plakate zu beschlagnahmen und so die Mobilisierung nach Dresden zu unterbinden. Die Taktik ging nicht auf: Am 13. Februar 2010 belagerten mehr als 10.000 Menschen den Aufmarschort, woraufhin sich die Polizei nicht in der Lage sah, die Straßen für die Nazis zu räumen.
Eine solche Schlappe wollten LKA und Staatsanwaltschaft nicht noch einmal hinnehmen, da aber das Bundesverfassungsgericht in einem früheren Urteil Sitzblockaden nicht als Straftaten im Sinne des Versammlungsgesetzes wertete, reichte dieser Vorwurf nicht aus, um das Bündnis gründlich zu überwachen und zu kriminalisieren.

Deshalb zog man eine altbewährte Strategie zur Durchleuchtung politisch unliebsamer Strukturen heran: Ein Verfahren wegen „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ gibt der Polizei beinahe grenzenlose Ermittlungsbefugnisse, ohne dass den Beschuldigten eine Beteiligung an konkreten Straftaten nachgewiesen werden muss. Neben der Überwachung der Beschuldigten dürfen die Behörden auch Kontakte über mehrere Ecken überwachen, das heißt Personen, die die Beschuldigten überhaupt nicht kennen müssen. So ist es möglich mit Hilfe dieses Paragraphen ganze Bewegungen zu überwachen, was in der Vergangenheit auch regelmäßig passierte – beispielsweise bei den Vorbereitungen für die G8-Proteste in Heiligendamm. Also wurden eine handvoll Straftaten und auch legale Aktionen in Sachsen gesammelt und willkürlich als Aktivitäten einer bestimmten Gruppierung gehandelt, die ganz im Interesse der Behörden auch im direkten Umfeld von Dresden Nazifrei aktiv sei. Vorgeworfen werden der vermeintlichen Gruppierung schwerer Landfriedensbruch in drei Fällen, Landfriedensbruch (2x), gefährliche Körperverletzung (3x) und eine Sachbeschädigung.

Damit wurden umfangreiche Maßnahmen von Telefonüberwachungen bis zur Erfassung von Verbindungsdaten ganzer Stadtteile legalisiert, mit deren Hilfe die linke Szene in Dresden und die Aktivitäten des Blockadebündnisses durchleuchtet wurden. Einen vorläufigen Höhepunkt erreichten diese Maßnahmen mit der Stürmung und Durchsuchung von verschiedensten Räumlichkeiten im Februar, April und Mai 2011, die von einer vorbereiteten Medienkampagne gegen „linke Gewalttäter“ begleitet wurde.

Da das ganze Ausmaß der Überwachung jedoch nur tröpfchenweise bekannt wird, wollen wir an dieser Stelle einen vorläufigen chronologischen Überblick über die Ausmaße dieser Kampagne geben, der mit Sicherheit noch erweitert werden wird:

2009

Für mehrere Millionen Euro erwirbt das Innenministerium das elektronische Erfassunssystem „EFAS“

7. November 2009

Aus der Aktivierungskonferenz des bundesweiten Antifabündnisses „No Pasaran“ entsteht die Idee, eine breites Blockadebündnis zur Verhinderung des Naziaufmarschs am 13.02.2010 zu gründen.

19. Januar 2010

Die Polizei durchsucht Büroräume in Dresden sowie Berlin und beschlagnahmt Mobilisierungsmaterial des Bündnisses „Dresden Nazifrei“ unter dem Vorwurf des Aufrufs zu Straftaten. Das Material rief zur Blockade des Naziaufmarsches auf.

13. Februar 2010

Mehr als zehntausend Menschen blockieren erstmals Europas größten Naziaufmarsch trotz der vorangegangenen Repression.

spätestens seit April 2010

Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) bei mehreren Beschuldigten im Verfahren nach §129 StGB. Eine TKÜ umfasst das inhaltliche Auswerten jeglicher digitaler Kommunikation, beispielsweise besuchte Internetseiten, Handy- und Festnetzgespräche, E-mails, usw.

17. Juni 2010

Funkzellenanalyse (FZA) durch das LKA Sachsen am Rande einer Antinazidemonstration; offizielle Begründung: eine Sachbeschädigung bei einem Bekleidungsgeschäft für Nazimode. Umfang der abgefragten Daten ist unklar aber auch hier dürften in breitem Maße Daten von Versammlungsteilnehmer_innen erfasst worden sein. Die Demonstration fand in unmittelbarer Nähe zum Naziladen statt.

28. August 2010

FZA durch das LKA Sachsen am Rande des Hechtfests wegen eines Körperverletzungsdeliktes. Umfang der abgefragten Daten ist unklar. Inwieweit erneut die Daten tausender Bürger_innen, die einfach nur das Stadtteilfest besuchten, in die Hände der Polizei gelangten, ist noch nicht bekannt. Polizei und Staatsanwaltschaft verweigern die Auskunft.

13. Februar 2011

FZA´s durch das LKA Sachsen im Verfahren nach §129 StGB
an zwei Orten, die nicht mit dem Demonstrationsgeschehen in Verbindung standen, für die Zeiträume von einmal 45 Minuten und einmal 90 Minuten mit Beschluss vom Amtsgericht Dresden vom 17. Februar 2011.
Der Umfang der abgefragten Daten ist unklar.

13. bis 19. Februar 2011

Einsatz eines IMSI-Catchers durch das LKA Sachsen über mehrere Tage an unterschiedlichen Orten in Dresden. Ein IMSI Catcher hat technisch nahezu grenzenlose Möglichkeiten der Überwachung aller in der Funkzelle aktiven Mobiltelefone. Er wird von umliegenden Mobiltelefonen als Funkmast interpretiert, so dass diese sich zum Verbindugsaufbau nicht über den tatsächlichen Funkmast, sondern über den IMSI-Catcher einloggen. Dieser ist dann in der Lage, sowohl die Verbindungsdaten (welche Telefonnummer setzt sich mit welcher in Verbindung) mitzuschneiden als auch den genauen Standort des Telefons sowie Inhalte von Gesprächen oder SMS.

18. und 19. Februar 2011

FZA´s durch das LKA Sachsen im Verfahren nach §129 StGB
für einen Ort in Dresden, der abseits des Demonstrationsgeschehens lag, über einen Zeitraum von 48 Stunden
für einen Ort in Dresden, der abseits des Demonstrationsgeschehens lag, über einen Zeitraum von 4 Stunden
in der Dresdner Südvorstadt, über einen Zeitraum von 12 Stunden
mit Beschluss vom Amtsgericht Dresden vom 25. Februar 2011
Umfang: 896.072 Verkehrsdaten von 257.858 Anschlüssen, von 40.723 Telefonnummern die Bestandsdaten abgefragt.
Am 9. Juni übermittelte das LKA diese Daten an die Soko 19/2 der Polizeidirektion Dresden, da die im §129 Verfahren tatverdächtigen Personen auch als Tatverdächtige in den Fällen des schweren Landfriedensbruchs vom 19. Februar 2011 in Frage kommen könnten.

18. und 19. Februar 2011

Observation des „Haus der Begegnung“ (Sitz des Pressebüros von Dresden-Nazifrei)

18. und 19. Februar 2011

TKÜ mindestens eines Mobiltelefons, welches sich nach Behördenangaben angeblich im „Haus der Begegnung“ befand

19. Februar 2011

FZA durch die Soko 19/2 der Polizeidirektion Dresden an 14 verschiedenen Orten in der Dresdner Südvorstadt für bestimmte Zeitfenster (insgesamt ca. 9 Stunden) im Verfahren wegen besonders schweren Falls des Landfriedensbruchs (125a).
mit Beschluss vom Amtsgericht Dresden vom 23. Februar 2011
Umfang: 138.630 Verkehrsdaten von 65.645 Anschlüssen, von 460 Telefonnummern die Bestandsdaten abgefragt

Abend des 19. Februar 2011

Hausdruchsuchung I – Erstürmung des „Haus der Begegnung“, Festnahme und erkennungsdienstliche Behandlung (ED: Abfotographieren und Abnahme von Fingerabdrücken für polizeiliche Datenbanken) von 17 angetroffenen Personen, Beschlagnahme von 10 Laptops, 14 Handys und sämtlicher festinstallierter Technik.

12. April 2011

Hausdurchsuchung II – Durchsuchung von 20 Privat- und Geschäfträumen in Sachsen und Brandenburg, vornehmlich in Dresden. Einigen der durchsuchten Beschuldigten wurde eine DNA Probe entnommen.

2. Mai 2011

Hausdurchsuchung III – Durchsuchung einer weiteren Wohnung in Dresden.

13. Mai 2011

Anschreiben des LKA Sachsen an Busunternehmen bundesweit, die am 19. Februar Gegendemonstrant_innen gefahren hatten, mit 14 Fragen, u.a. nach Mieter_in des Busses, nach „Besonderheiten“ während der Fahrt, nach Pausen, Treffen etc.
Daneben forderte das LKA das Polizeibeobachtungsteam, das am 19. Februar das Vorgehen der Polizei dokumentiert hatte, zur Herausgabe von Film- und Videomaterial auf sowie Demosanitäter_innen zur Preisgabe von Namen und Adressen verletzter Personen, die sie am 19. Februar behandelt hatten.

10. August 2011

Hausdurchsuchung IV – Durchsuchung der Diensträume des Jenaer Jugendpfarrers Lothar König durch die Sächsische Polizei. Die Soko 19/2 der Polizeidirektion Dresden und die Staatsanwaltschaft werfen König aufwieglerischen Landfriedensbruch im Zusammenhang mit dem 19. Februar 2011 in Dresden vor. Eine Woche zuvor erschien im Nachrichtenmagazin Spiegel ein Artikel unter dem Titel „Die Härte des Systems“ in dem berichtet wurde, dass gegen Lothar König auch im Verfahren nach § 129 ermittelt werde. Er wurde darin zitiert, dass ihn die Ermittlungsmethoden der sächsischen Behörden an die Stasi erinnerten.

19. August 2011

Einstellung I – vorläufige Einstellung des Verfahrens nach § 129 StGB gegen Lothar König nach §154 Abs 1 Nr. 1 StPO. Das heißt, das seit 7. Februar gegen den Jenaer Pfarrer laufende Ermittlungsverfahren wurde eingestellt, da nach Ansicht der Staatsanwaltschaft in dem seit 21. April 2011 Verfahren wegen schweren Landfriedensbruch ein höhere Strafe zu erwarten wäre.

15. März 2013

Das Verwaltungsgericht Dresden erklärt die Erkennungsdienstliche (ED-) Behandlung eines Beschuldigten im §129-Verfahren im April 2011 für unrechtmäßig. Damals durchsuchte das LKA Sachsen Wohnungen von 17 Personen, denen vorgeworfen wurde Teil einer sogenannten Antifasportgruppe zu sein. Zugleich ordnete der zuständige Ermittlungsrichter auf Ersuchen des LKA ED-Behandlungen bei den Betroffenen an. Die Richterin zeigte sich von der Begründung des LKA nicht überzeugt. Das LKA habe aus unterschiedlichen Vorfällen »einen Brei gerührt«, obwohl kein konkreter Tatvorwurf gegen den Kläger zu erkennen sei.

17. April 2013

Die mit Abstand umfangreichste Funkzellenabfrage vom 19. Februar 2011 mit insgesamt 896.072 erhobenen Verkehrsdaten wird vom Landgericht Dresden zum Teil für rechtswidrig erklärt. Die vom LKA beantragte FZA erfasste in einem 12-stündigen Zeitraum großflächig in der Dresdner Südvorstadt Verkehrsdaten, begründet mit dem § 129 StGB. Mit dem Gerichtsentscheid müssen die Daten nun gelöscht werden. Allerdings fußte die Entscheidung auf formal ungenügenden Begründungen der Maßnahme durch das Dresdner Amtsgericht und nicht auf deren prinzipieller Unverhältnismäßigkeit. Die erhobenen Daten aus anderen FZAs, die im selben Zeitraum in Dresden und Umgebung stattfanden, müssen vorerst nicht gelöscht werden.

Aktuell sind in dem Verfahren nach § 129 StGB 21 Personen aus vier Bundesländern beschuldigt, eine kriminelle Vereinigung gebildet zu haben; die Ausmaße der Überwachungsmaßnahmen sind noch nicht abzusehen.

To be continued…

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