Der VS auf ’ner Demokratiekonferenz? Besser ohne!

Am 25. August 2018 findet im Hygeniemuseum Dresden die Konferenz „Gemeinsam Demokratie gestalten“ statt. Die inhaltliche Einleitung soll das Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen übernehmen. Wir halten das für einen schwerwiegenden Fehler und protestieren gegen die Beteiligung des Inlandgeheimdiensts an der Demokratiekonferenz. Dafür gibt es Gründe:

Mit einem Geheimdienst demokratisches Zusammenleben gestalten?

Ziel der Konferenz ist die Gestaltung „demokratischen Zusammenlebens“. Das ist ein hehres und begrüßenswertes Ziel, setzt aber einen demokratischen, das heißt gleichberechtigten Diskurs voraus. Mit einer Verfassungsschutzbehörde ist so ein Diskurs grundsätzlich ausgeschlossen. Denn sie beruft sich auf geheime Informationen und macht damit Nachweise und Belege überflüssig. Für Außenstehende sind die Erhebungsmethoden und Einschätzungen des Geheimdienstes nicht überprüfbar. Selbst Parlamentarier*innen scheitern regelmäßig an einer Mauer des Schweigens. (1) Die wenigen vorhandenen Kontrollmittel sind oftmals unwirksam. Diese Arbeit im „stillen Kämmerlein“ trägt vordemokratische Züge: Staatliche Autorität soll über geheimes Wissen erlangt werden. Das widerspricht dem demokratischen Prinzip, dass eng mit dem der Öffentlichkeit verbunden ist. Eine Demokratiekonferenz, die sich von einem undemokratischen Akteur wie dem Verfassungsschutz die Agenda vorgeben lässt, beschädigt ihr eigenes Anliegen.

Diskussion nur unter staatlicher Aufsicht?

Schon die bloße Anwesenheit des sächsischen Inlandsgeheimdienstes bei der Konferenz fördert den Eindruck von staatlicher Kontrolle und Überwachung. Denn das ist die Kernaufgabe der Behörde: Sie soll mit geheimdienstlichen Mitteln Bestrebungen erkennen, die nicht auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen und den Bestand von Bund und Ländern sichern. Verdächtige Gruppierungen werden, unabhängig von der Legalität ihres Handelns, öffentlich angeprangert. Die Beweislage bleibt oftmals dünn, im Zweifel genügt der Hinweis auf geheime Informationen. So etwa beim „Aktionsfeld Antifaschismus“, das die Verfassungsschutzämter prinzipiell verdächtig finden und das just ein Jahr nach dem Auffliegen des NSU 2012 bundesweit als Beobachtungskategorie neu eingeführt wurde. Die wenigen Initiativen und Projekte, die sich etwa in Sachsen dem Rechtsruck entgegenstellen, werden dort schnell mal als „linksextremistisch“ verunglimpft. Aber auch angesehene Demokratieprojekte geraten in den Fokus des Geheimdiensts: Erst vor wenigen Wochen wurde bekannt, dass bundesweit 51 Projekte, darunter Beratungsstellen für Betroffene rechter Gewalt, vom Verfassungsschutz durchleuchtet wurden. Prodemokratisches Engagement wird mit staatlichem Misstrauen beantwortet. Dabei steht die Praxis auf wackeligen Füßen: Juristische Gutachten und Gerichtsurteile belegen, dass ausgerechnet der sogenannte Verfassungsschutz die Grenzen der Verfassung nicht so genau nimmt. (2) Wie aber soll eine faire Diskussion mit einer Institution aussehen, die Verfassungsgrundsätze mit Füßen tritt? Wer garantiert, dass so eine Diskussion nicht mit einem Aktenvermerk endet? Der Verfassungsschutz ist ein Problem für die Demokratie, aber kein Gesprächspartner für eine Demokratiekonferenz.

Der Verfassungsschutz: Ein politisches Kampfinstrument

Zwar suggeriert der Name etwas anderes, aber der Verfassungsschutz schützt nicht die Verfassung. Verstöße gegen das Grundgesetz interessieren den Verfassungsschutz nicht. Wenn Behörden, Regierungsparteien oder die sogenannte gesellschaftliche ‚Mitte‘ gegen Menschen- und Grundrechte, sowie Gleichheitsgebote verstoßen, bleibt der Verfassungsschutz stumm. Aktiv wird er nur, bei der Bekämpfung von oppositionellen oder ausländischen, mehr oder weniger randständigen Gruppierungen. Das hat einen Grund, denn seine Arbeitsgrundlage ist die Extremismustheorie. Die unterstellt, dass Demokratie nur von den „extremen Rändern“ der Gesellschaft bedroht wird,  dass sich Rechts- und Linksextremismus ähneln, gleichermaßen „weit“ von demokratischen Werten entfernt seien und diese in Frage stellen. Die Theorie ist simpel und politisch wirkmächtig –  vor allem aber Unfug. Die Liste der Kritikpunkte ist lang: Die Gleichsetzung der Motive von politischer Linken und Rechten entbehrt jeder Grundlage und ist realitätsfremd. Ideologien der Ungleichwertigkeit werden zu einem „extremistischen“ Randphänomen verharmlost und Rassismus systematisch bagatellisiert. Die gesellschaftlichen Ursachen für Ideologien der Ungleichwertigkeit werden ausgeblendet, demokratische Gleichheitswerte gegen Freiheitswerte ausgespielt. Die Theorie selbst ist politisch motiviert: Sie ist ein Kampfinstrument staatlicher Institutionen, das autoritär vorgeben will, wie bestimmte Erscheinungen in der Gesellschaft zu bewerten sind. Und das ist schon seit Jahren der Stand in Wissenschaft und Forschung – genau deswegen konnte sich die Extremismustheorie dort auch nicht durchsetzen. Auf einer Demokratiekonferenz hat sie nichts zu suchen, wenn die Dresdner Zivilgesellschaft tatsächlich gestärkt und nicht nur „verstaatlicht“ werden soll.

Verfassungsschutz als Unsicherheitsfaktor in der Demokratie

Der Verfassungsschutz hat spätestens mit dem NSU-Desaster alle Glaubwürdigkeit verspielt. Die unkritische Übernahme der Erzählungen des Verfassungsschutzes durch Medien, Politik, weite Teile der Zivilgesellschaft und von Forschenden war mitverantwortlich für die Nichtentdeckung des NSU-Terrorismus: Einschätzungen antifaschistischer und demokratischer Akteure und dann auch die Hinweise von Opferangehörigen, sowie seitens der migrantischen Zivilgesellschaft wurden ignoriert. Heute räumen die Behörden zwar Fehler ein, verweisen aber zugleich auf operative Defizite und fehlende Mittel zur Überwachung und Kontrolle. Doch das ist einfach nicht wahr: Insbesondere der Verfassungsschutz war durch verschiedene V-Personen nicht zu weit weg, sondern zu nah am Terrornetzwerk dran. (3) Auch und gerade in Sachsen, wo der Bayrische Rundfunk erst vor gut einem Monat eine weitere V-Person enttarnte, diesmal in der Erzgebirger Kameradschaft des NSU-Unterstützers Maik Eminger. (4) Mit den Honoraren für die V-Personen leistete der Verfassungsschutz einen entscheidenden Beitrag zum Aufbau nazistischer Strukturen und wurde damit selbst zum Unsicherheitsfaktor in der Demokratie. Geändert wurde die Praxis bis heute nicht. Unnütz ist er allemal: Gesellschaftlichen Entwicklungen hinkt man zumeist Jahre hinterher. Von den rechtsterroristischen Bestrebungen der Gruppe Freital hatte man keine Kenntnis, Pegida verharmlost man als „asylkritisch“, von Identitärer Bewegung und Reichsbürgern nahm man erst Kenntnis, als ihre Existenz nicht mehr zu leugnen war. Von deutsch-nationalen und extrem rechten Burschenschaften liest man bis heute hingegen nichts – möglicherweise weil der Chef des LfV Sachsen Gordian Meyer-Plath gleichfalls Mitglied einer Burschenschaft ist. (5) Diese Struktur, in Sachsen mit 190 Mitarbeiter*innen und einem Jahresetat von 12 Millionen Euro ausgestattet, wird als „Frühwarnsystem“ verkauft – sie ist aber eine bodenlose Frechheit, der die Demokratiekonferenz nicht einfach noch ein Podium bieten sollte.

Schluss

Wir erwarten von einer Demokratiekonferenz die Orientierung an den Grundwerten von Demokratie: Freiheit und Gleichheit. Dem genügt der Verfassungsschutz als unkontrollierbare Stigmatisierungsinstitution nicht. Wir fordern daher die Absage des geplanten Impulsreferat des Verfassungsschutz Sachsen. Ein Lücke muss deswegen nicht entstehen, stattdessen könnte etwa die Kooperation mit der Sozialwissenschaft gestärkt werden: Es gibt genügend unabhängige Forschende und Wissenschaftler*innen, die einiges zu einer Problemanalyse Dresdner oder sächsischer Zustände beitragen können. Man müsste sie halt nur fragen. Im Übrigen gilt: Verfassungsschutz geht besser ohne die Institution, die diesen Namen führt. Den Versuchen des Verfassungsschutzes den zivilgesellschaftlichen Diskurs zu bestimmen, erteilen wir eine klare Absage.

 

(1) Aktuell vor allem in den verschiedenen Untersuchungsausschüssen zum NSU-Komplex. So hat etwa das LfV Hessen entschieden, die Akten zur Rolle ihres Mitarbeiters Andreas Temme für 120 Jahre zu sperren. Temme war allen Indizien zufolge beim Mord an Halit Yozgat in Kassel am Tatort. Warum ist bis heute ungeklärt.

(2) Prominente Beispiele: Die antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München e.V. (a.i.d.a.) wurde im VS-Bericht als „linksextrem“ bezeichnet. Gerichte stellten wiederholt fest, die Nennung war nicht gerechtfertigt. Der VS reagierte nur widerwillig. Ähnlich der Fall des Menschenrechtlers Rolf Gössner: Über 38 Jahre wurde er vom Verfassungsschutz bespitzelt. Zu Unrecht, wie mittlerweile auch das Oberverwaltungsgericht Münster festgestellt hat. Zwölf Jahre zog sich das juristische Verfahren bisher, der VS will das Urteil erneut anfechten.

(3) Nachzulesen etwa in der Studie zum NSU von Matthias Quent: „Rassismus, Radikalisierung, Rechtsterrorismus“ (Beltz Juventa, 2016). Oder auch bei Hajo Funke: „Staatsaffäre NSU“ (Kontur-Verlag, 2015).

(4) Hier nachzuschauen: https://bit.ly/2BpU8ft

(5) Meyer-Plath ist „Alter Herr“ bei der Burschenschaft Marchia. Die Burschenschaft fordert unter anderem ein „Europa der Vaterländer“ sowie die „Sicherung kultureller Eigenarten“ und Traditionen der „Völker in ihren jeweiligen Regionen und Lebensräumen“.