Demokratie a la CDU – Wer nicht hören will, muss fühlen

Nach der Handydaten-Affäre will Sachsens Justizminister Jürgen Martens (FDP) eine Bundesratsinitiative für mehr Rechtssicherheit bei Funkzellenabfragen einleiten (§101 StPO). So sollen Funkzellenabfragen (FZA) örtlich und zeitlich so eingeschränkt werden, sodass Unbeteiligte besser geschützt werden. Am 19. Februar hatten die Dresdner Ermittler über eine Millionen Handydaten erfasst und daraus über 40.000 Bestandsdaten abgefragt (Name, Adresse, Geburtstag). Der Datenskandal sorgte für bundesweite Empörung.

In Sachsen kommt jedoch ein Skandal selten allein. Wie die Süddeutsche Zeitung berichtet ist nun der Dresdner Anwalt André Schollbach Ziel polizeilicher Ermittlungen. Schollbach klagte erfolgreich gegen die Razzia im „Haus der Begegnung“ und bekam Recht. Das Land Sachsen musste 5.000 € Entschädigung zahlen. Desweiteren vertritt der Anwalt zahlreiche BlockiererInnen vom 19. Februar, welche wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz Bußgelder zahlen sollen. Der Grund für die Ermittlungen gegen Stollbach: Er soll Ermittlungsakten öffentlich gemacht haben, die u.a. den Einsatz eines IMSI-Catchers am 19. Februar belegen sollen. Continue reading „Demokratie a la CDU – Wer nicht hören will, muss fühlen“

Einstellung 1 von 22 – Das Problem ist nicht aus der Welt!

Nach dem fragwürdigen „Auslandseinsatz“ sächsischer Polizeibeamter in Jena und der umstrittenen Hausdurchsuchung beim Jugendpfarrer Lothar König am 10. August, fand sich am Dienstag der Rechtsausschuss im Sächsischen Landtag zu einer Sondersitzung zusammen. Die Opposition verlangte Antworten.

Dabei teilte die Staatsanwaltschaft Dresden mit, dass das Ermittlungsverfahren nach §129 StGB gegen König seit 19. August vorläufig eingestellt ist und nunmehr „nur“ noch wegen des Verdachts des schweren Landfriedensbruchs gegen den Jenaer Pfarrer ermittelt werde. Schnell verbreitete sich diese scheinbar positive Meldung in der Öffentlichkeit. Doch was nach Einlenken der Staatsanwaltschaft anmutet, offenbart einmal mehr die Dreistigkeit, mit der in Sachsen derzeit gegen alle vorgegangen wird, die sich antifaschistisch engagieren. Continue reading „Einstellung 1 von 22 – Das Problem ist nicht aus der Welt!“

Fehler im Original

Der sächsische Generalstaatsanwalt Klaus Fleischmann hat den Offenen Brief von Jenas Oberbürgermeisters (OB) Albrecht Schröter (SPD) beantwortet. Gerichtet war der Brief zwar an den sächsischen Ministerpräsidenten Stanislav Tillich, überstellt wurde er jedoch an die Generalstaatsanwaltschaft. Begründung: Es handelt sich um ein laufendes Ermittlungsverfahren, daher ist der Ministerpräsident nicht zuständig – das gebiete die Gewaltenteilung. Fleischmann stellt klar, dass er keinen Ermittlungsfehler finden kann und zitiert hierfür fleissig diverse Paragrafen. Interessant sind vor allem seine Ansichten zum Thema zivilgesellschaftlichen Engagements gegen Rechts. Nach seiner Auffassung gehören alle Menschen strafrechtlich verfolgt, welche sich nichtverbotenen Versammlungen mit friedlichen Mitteln in den Weg stellen.

„Ich pflichte Ihnen bei, nach meiner Ansicht ist jede Form von Extremismus mit demokratischen Mitteln zu bekämpfen. Zu den demokratischen Mitteln gehört auch das Vorgehen der Polizei- und Justizbehörden gegen jedweden Extremismus, wenn dessen Vertreter die Grenzen von Recht und Gesetz überschreiten. Diese Grenzen haben aber auch die Gegner von Extremisten zu respektieren. Die Staatsanwaltschaften haben unter Zugrundelegung objektiver Kriterien ohne Ansehung der Person und ihrer etwaigen politischen Ausrichtung vorzugehen. Dies gilt insbesondere dann, wenn öffentliche Meinungskundgaben von Extremisten grundgesetzlich geschützt sind. Am 19. Februar 2011 waren die angemeldeten Demonstrationen aus dem rechten politischen Spektrum letztlich sogar vom Sächsischen Oberverwaltungsgericht für zulässig erachtet worden und konnten nicht verboten werden. Damit genossen die Teilnehmer den Schutz des Artikels 8 Grundgesetz. Der Rechtsstaat muss auch die Ausübung des Versammlungsrechts durch Extremisten hinnehmen und diese letztlich notfalls durch die Polizei schützen. Gegendemonstranten müssen dies hinnehmen und ihrerseits Recht und Gesetz beachten.“

Fleischmann hat (natürlich) auch einen Antwort parat auf die die Sorgen des OBs, dass durch die massenhafte Erfassung von Handydaten NazigegnerInnen eingeschüchtert werden: „Die Funkzellenabfrage erfolgte im Gegenteil nur für Bereiche, in denen es zu Auseinandersetzungen im Ausmaß eines Landfriedensbruchs kam und auch nur für die Zeiträume, in denen diese Delikte andauerten.“ Im Zuge der Demonstration am 19. Februar wurden mehr als 40.000 Bestandsdaten (Name, Adresse, etc.) abgefragt. Es ist daher mehr als zynisch davon zu sprechen, dass friedliche DemonstrantInnen nichts zu befürchten hätten. Defacto haben die Ermittler eine riesige Datenbank von NazigegnerInnen anlegen können.

Au revoir la démocratie

Die Reaktion auf dem Offenen Brief des Jenaer Oberbürgermeisters Albrecht Schröter (SPD) kam schneller als gedacht. Ein Mitarbeiter der sächsischen Staatskanzlei leitete den Brief an die Generalstaatsanwaltschaft weiter, weil „es der Grundsatz der Gewaltenteilung [gebietet], dass der Offene Brief von Generalstaatsanwalt Klaus Fleischmann beantwortet wird, weil darin das Vorgehen der Ermittlungsbehörden in einem offenen Verfahren kritisiert wird“, so die DNN in ihrer heutigen Ausgabe. Weiterhin wird ausgeschlossen das Stanislav Tillich die Einladung Schröters zu einer Diskussionsveranstaltung nach Jena annehmen werde.

In der sächsischen Regierungskoalition schiebt man sich inzwischen die Verantwortung für die „Jenaer Ungereimtheiten“ gegenseitig zu. Der CDU-Rechtsexperte Marko Schiemann fordert von der Justiz umfassende Aufklärung zur Durchsuchung bei König und forderte von FDP Justizminister Martens Klarstellung und ein Ende des „Durcheinander“.

Die Sächsische Zeitung bietet heute CDU Fraktionsvorsitzenden Steffen Flath Platz die in den vergangenen Tagen fast schon aus den Augen verlorene „Handy-Affäre“ zu rechtfertigen und Kritik als ungerechtfertigt und demokratiegefährdend zurückzuweisen. Dabei verweist er darauf, dass gegen Straftäter ermittelt werden müsse, egal was deren politische Ziele wären. Der Opposition wirft er vor, dieses rechtsstaatliche Prinzip mit ihrer Kritk am Vorgehen der Ermittlungsbehörden zu verletzen und so auf Anarchie hinzuarbeiten und „mit ihrer unerträglichen Verbalradikalisierung“, „Gewaltausbrüche gegenüber Vertretern des staatlichen Gewaltmonopols“ zu befeuern. Die Polizei nimmt Flath gegen Vorwürfe in Schutz und beklagt, dass man ihnen „alle Instrumente aus der Hand“ nähme und „ihre Arbeit kriminalisiert“.

Trotz der anhaltenden demokratischen Kälte in Sachsen werden wir heute Abend (ab 22.00 Uhr) ins Schwitzen kommen. Im Kulturzentrum „Scheune“ (Alaunstraße 36-40, 01099 Dresden) legen u.a. Igor Kapiza (follow the white rabbit), Fliers (DieSeR – independent club) und Electric Evelyn (spaghetti disco) auf. Kommt vorbei und tanzt für eine emanzipatorische Gesellschaft!

Extra: Merchandise Stand (Buttons, Beutel und T-Shirts)

Rangeleien, ein Offener Brief und die Frage nach dem Warum

Das Vorgehen der Sächsischen Justiz beschäftigt nicht nur uns, sondern auch den Oberbürgermeister (OB) von Jena. Der hat einen offenen Brief an den sächsischen Ministerpräsidenten verfasst, in dem er grundsätzlich fragt, welche Position die Landesregierung gegen Nazis hat. Denn das Agieren der sächsischen Staatsregierung erweckt den Anschein, als ob „man den Widerstand gegen die Neonazis am 19.2.2012 bereits im Vorfeld erschweren will“. Daher läd er die Sachsen mal zum Besuch nach Jena ein, denn da kann man noch einiges über politische Kultur lernen. Die SäZ berichtet dazu unter dem Titel: Streit um Razzia in Thüringen geht weiter.

Ferner sorgt der gestrige Gegenbesuch des CDU Sommergesprächs in der lokalen Presse weiterhin für wirbel. So berichtet die SäZ unter dem Titel Demonstranten brachten Minister Ulbig in Bedrängnis (SäZ, 18.08.11) darüber ebeso wie die DNN: Parolen gegen Innenminister Ulbig in Dresden-Plauen am Dienstag (DNN, 18.08.11) (welche auch den Bericht von Dresden Fernsehen verlinkt). Vor allem die angeblichen „Rangeleien, in die auch die Personenschützer Ulbigs verwickelt waren“ sorgen für Gesprächsstoff. So titelt die Freie Presse: Attacke auf Innenminister Ulbig (Freie Presse, 18.08.11). Der MDR übernimmt die Angaben aus dem Ministerium, wonach angeblich ein Personenschützer leicht verletzt wurde Ulbig gerät in Rangelei mit Demonstranten (MDR, 18.08.11). Aufgrund der diffamierenden Meldungen aus dem Innenministerium haben wir noch mal klargestellt, dass es keinen Angriff auf den Innenminister gegeben hat.

„Was soll die Durchsuchung bei König, der bereits von Ermittlungen gegen sich wusste, fast ein halbes Jahr nach den Ereignissen noch bringen?“ fragt Zeit Online in ihrem Artikel über die Beschuldigungen gegen Lothar König und auch die Taz steuert heute noch einen Überblicksartikel bei. Klar ist mittlerweile, so die TAZ, dass rechtlich alles ok gegangen ist bei der Durchsuchung in Jena „aber nur darum geht es längst nicht mehr. Das Verhalten der Dresdner Staatsanwaltschaft in jüngster Zeit habe „unser Vertrauen in unsere Demokratie ernsthaft erschüttert“, schreibt der Jenaer Oberbürgermeister Albrecht Schröter (SPD)“.